Neue Musik

Aus den „Versuchen über Kunst und Leben“ des Philosophen Dieter Henrich erfahren wir, dass Kunst immer Resonanzen im bewussten Leben hat. Diese These ist für viele Bereiche der Kunst schlüssig. Hier tritt man einem Kunstwerk gegenüber, lässt es auf sich wirken und reflektiert es. Musik „arbeitet“ auf ihre Weise, erreicht jedoch ebenfalls alle Bereiche des Menschen, bewusste wie unbewusste.

Klang geht eine Wechselwirkung mit dem Hörer ein. Dabei löst der Klang Resonanzen aus, ja umgibt den Hörer, wie der Philosoph Peter Sloterdijk anmerkt, wie eine schützende Hülle, ein „sonores Kontinuum“, in das er bereits als „Ur-Hörer“ pränatal eingebettet ist. Resonanzen sind in der Musik ein ganzheitlicher Vorgang.

Unsere Kirchenräume sind großartige Resonanzräume, mit denen wir in Verbindung treten können. Klangliche und raumatmosphärische Aspekte sind entscheidend, wie der Hörer in Beziehung zu seiner Umgebung tritt.

Wir alle nehmen Hören subjektiv wahr. Das Gehörte löst ein Echo in uns aus, wodurch Resonanzen zum Schwingen kommen. In dieser Interaktion stehen wir mit allem um uns herum in Beziehung und Austausch. Dies lässt uns im besten Falle zu einem einzigen Klangkörper verschmelzen, der Konsonanzen wie Dissonanzen beinhaltet.

Das musikalische Konzept zu Resonanzen spürt diesen Ideen nach, bricht unsere Hörgewohnheiten auf, aktiviert ein sinnliches Verstehen und eröffnet uns vielleicht sogar neue Zugänge für Spiritualität und Gemeinsamkeit in unseren Sakralräumen.

Konzerttermine:

Mittwoch, 9. Oktober 2019 – St. Markus
19 Uhr Vernissage artionale 2019
"Echo-Fantasien - Eine Auseinandersetzung mit Raum und Klang, Gestern wie Heute"
u. a. Prof. Hans Maier (Akkordeon), Kaori Mune-Maier, Kirchenmusikdirektor Michael Grill, Tobias Frank (Tasteninstrumente) und Kirchenmusikdirektor Michael Roth.

Sonntag, 13. Oktober 2019 – Erlöserkirche
19 Uhr Konzert
„Styx“, Prolog und neun Bilder für Soli, Chor, Instrumente, Orgel und Live-Elektronik von Michael Grill
Uraufführung der Neufassung (2019)

Mittwoch, 23. Oktober 2019 – Erlöserkirche
19 Uhr Neue Resonanzen - neue Kammermusik
Kammermusikkonzert
Anna Lindenbaum (Violine), Stefan Barcsay (Gitarre), Leander Kaiser (Vibraphon) und Kirchenmusikdirektor Michael Grill (Orgel)

Mittwoch, 6. November 2019 – St. Lukas
19.30 Uhr Finissage der artionale 2019
Marcel Dupré (1886-1971): "Résonances für Orgel & Orchester, Welt-Uraufführung"
Ansgar Wallenhorst (*1967): "Improvisation sur le nom de Marcel Dupré"
Tobias Frank (*1980): "écho – Improvisation für Einzelinstrumente zu Messiaens Accord de la Résonance"
Ansgar Wallenhorst, Alexander Herrmann, Fabian Strauß: "Improvisation für Orgel & Percussion"
Mit unter anderem Alexander Herrmann(Schlagwerk), Fabian Strauß (Schlagwerk), Ansgar Wallenhorst (Orgel), Leitung: Tobias Frank
Stadtdekanin Barbara Kittelberger

Zur Finissage

Résonances
Marcel Dupré hat als Pädagoge ganze Generationen von Organisten geprägt. Das er neben seinen Orgelwerken als Komponist recht aktiv war, ist der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt. Seine Arbeit an Résonances – Etude symphonique pour orchestre de solistes et orgue vollendete er am 24. Oktober 1943. Obwohl er das Werk sehr detailliert ausgearbeitet hatte und sogar eine Fassung für Orgel und Klavier anfertigte, ist es wahrscheinlich den Wirren des Zweiten Weltkrieges geschuldet, dass es nie aufgeführt wurde. Es ist seine dritte große Arbeit für Orgel und Orchester – eine Verbindung, die er als die „natürlichste“ musikalische Partnerschaft bezeichnete.

Die Orgel, zumal das symphonische Instrument, das Dupré vertraut war, vereint quasi alle Orchesterstimmen in sich. In Résonances lässt Dupré die beiden Klangkörper in einen Dialog treten. Die Orgel setzt er mal solistisch als Antwort auf Orchester-passagen ein, mal als begleitenden Klangteppich für verschiedene Solostimmen, mal als gravitätische Stütze für das solistisch besetzte Ensemble.

Die chromatisch-melancholischen Linien des Beginns hallen im ganzen Stück nach, verdichten sich zu einem strengen rhythmischen Geflecht und münden schließlich in ein fröhlich sprudelndes Scherzo. Einzelne Motive und Themen verarbeitete er in späteren Kompositionen, wie etwa seinem Psaume XVIII op. 47 oder seinem Quartett op. 52 für Violine, Bratsche, Cello und Orgel.

Lukas-Kantor Tobias Frank, Experte für die Musik Marcel Duprés, fand das Manuskript im Archiv der Französischen Nationalbibliothek in Paris und fertigte eine moderne Partitur an. So erklingt das Werk 76 Jahre nach seiner Komposition bei der Finissage der artionale 2019 zum ersten Mal.

écho
Unter der Kuppel trifft sich der Klang der Emporen, die MusikerInnen spielen mit dem Raum und seinem Widerhall wie mit einem weiteren Spieler. In der Orchester-Improvisation écho wird das Motto der artionale 2019 noch einmal erfahrbar.
Harmonische Basis der Improvisation ist Olivier Messiaens Accord de la Résonance, aufgebaut auf den natürlichen Schwingungen des einzelnen Tones: „Fast jeder – für ein extrem feines Ohr – wahrnehmbare Ton im Klang des Grundtons, ist […] in diesem Akkord enthalten.“ Messiaen selbst verband als Synästhet alle Klänge mit Farben. Die Lichträume in St. Lukas haben in den vergangenen Wochen auch für uns diese Erfahrung ermöglicht.

Improvisation sur le nom de Marcel Dupré
Als Konzertorganist bereiste Ansgar Wallenhorst mehr als 20 Länder in Europa, Asien, Nordamerika und Australien. Der Absolvent der Würzburger Musikhochschule (Orgel bei Professor Günther Kaunzinger) und Preisträger des 43. Internationalen Improvisationswettbewerb Harlem vertiefte seine Improvisationskunst bei Thierry Escaich, Olivier Latry und Jean Guillou. Als Kantor an St. Peter und Paul in Ratingen ist er zugleich künstlerischer Leiter der Orgelwelten Ratingen, ein Format, das Neue Musik durch Stipendien und Auftragskompositionen fördert.