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artionale 07 | Vita

GOTT durchkreuzt

Eine Genom-Passion nach Worten des Evangelisten Matthäus und von Sarah Kane
von Michael Grill
27. Oktober, 19.30 Uhr, St. Lukas, Mariannenplatz
Eintritt: 12,- Euro

Michael Grill

 

Vor einigen Jahren feierte die Biochemie die Veröffentlichung des Human-Genoms. Bekannt wurde das Bild der so genannten Doppel-Helix, eines zweifachen, gewundenen Strangs aus Basenpaaren, welche die Chromosomen und damit die menschliche Erbsubstanz bilden. Mehrere Milliarden Bausteine sind nötig, um die vollständige Erbsubstanz wiederzugeben. Rasch verstand man, dass zwar eine Entzifferung, aber keineswegs eine Entschlüsselung der Geheimnisse des Lebens gelungen war. Die geistige Dimension von Leben lässt sich auch mit dem Genom nicht erfassen.

Sehr wohl aber kann die milliardenfache Abfolge der immergleichen Basenpaare (A-T und G-C) als Symbol von Leben, zumal der puren Existenz, betrachtet und künstlerisch umgesetzt werden.

Hier setzt Michael Grills „Genom-Passion“ an. Jeder der vier Basen wurde ein musikalischer Ton zugeordnet, so dass am Computer eine Tonfolge von enormer Länge entstand: Würde man diese „Melodie des Lebens“ so schnell abspielen, dass sie dem Ohr nur noch als Rauschen erscheint, würde es immer noch 900 Stunden dauern, um die Erbinformation eines Menschen anzuhören- Auch dieses Rauschen ist in den Klangteppich der „Genom-Musik“ eingearbeitet.

Wo Leben ist, muss Sterben und Tod mitgedacht werden, wo Sein ist, das Nicht-Sein. So entstand die Idee, dieser „Geschichte“ vom Leben die Geschichte des Sterbens und Todes Jesu gegenüberzustellen. Im Gegensatz zu den altbekannten Passionsvertonungen verzichtet der Komponist hier jedoch völlig auf eine Emotionalisierung der Leidensgeschichte. In zurückhaltender, ja distanzierter Weise schildern Chor und Solist die Szenen aus dem Matthäusevangelium. Unangemessen erschien es dem Komponisten, heutzutage der Unfassbarkeit des Sterbens Gottes mit den Mitteln menschlich-musikalischen Ausdrucks entsprechen zu wollen. Bewusst bleibt hier das Emotionale offen, wird nicht vorgegeben. Der Hörer kann sich mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen in diese „Leerstelle“ einbringen.

Aber noch ein ganz anderes Element spielt eine Rolle in Michael Grills Passion: Es ist die Stimme des Einzelnen, der Aufschrei der leidenden Kreatur, dem die Worte der britischen Dramatikerin Sarah Kane Ausdruck verleihen. Mit 28 Jahren war Kane bereits eine viel beachtete Bühnenautorin. Während sie 1999 wegen einer Depression klinisch behandelt wurde, nahm sie sich das Leben. Ihrem letzten Stück „4.48 psychose“, das sich mit ihrer psychischen Krise, mit dem Freitod und der Sehnsucht nach Liebe auseinandersetzt, sind die gesprochenen Texte der „Genom-Passion“ entnommen.

Die Komposition Michael Grills wurde 2005 in der Münchner Andreaskirche uraufgeführt. Markus Springer schrieb über den Schluss des Werkes im Sonntagsblatt:
„Als Jesus am Kreuz stirbt, schweigt die Melodie des Lebens. Donnernde Paukenschläge zerreißen wie ein gewaltiger Herzschlag die Stille. Dann, zunächst leise rauschend, setzt wieder die Melodie des Lebens ein. Doch erst ganz zum Schluss wird erkennbar, welchem Rhythmus die von Anfang an immer wieder vernehmbaren Pauken gefolgt sind. Es ist der Rhythmus des „Mors stupebit“, mit dem der Chor am Ende das „Dies irae“ der lateinischen Totenmesse zitiert. Immer wieder haben wir so das Pochen Gottes auf den Moment gehört, wenn die Zeit zerbricht und alle Naturgesetze – auch der Tod – erstarren und außer Kraft gesetzt sind.“

John Cage: „Silence“ – Vortrag über Nichts
Sonntag, 21. Oktober, 19 Uhr, Andreaskirche, Walliser Str. 11
Eintritt: 12,- Euro

„Ich bin hier, und es gibt nichts zu sagen.“ So beginnt der Text des amerikanischen Avantgardisten John Cage (in der deutschen Übersetzung von Ernst Jandl), der auch über 50 Jahre nach seiner Entstehung nichts an Frische und künstlerischer Brisanz eingebüßt hat. Cage „komponiert“ diesen Vortrag wie ein Musikstück, mit Wörtern, aber auch mit Pausen. So entsteht ein sich selbst reflektierendes Textgebilde, in dessen Verlauf man trotz des Titels Cages Zugang zu Musik und Stille erfährt.

Die Grenzen von Nichts und Etwas werden auch musikalisch ausgelotet durch Stücke von John Cage und Brian Ferneyhough. Diese Veranstaltung findet im Rahmen der Konzertreihe „Neue Orgelmusik München“ auf der Empore der Andreaskirche statt. Mitwirkende: Anja Paeschke, Flöte, und Michael Grill, Lesung und Orgel.